Obwohl der Begriff Kieferorthopädie überwiegend mit Zahnspangen im Kindesalter assoziiert wird, nimmt die Zahl der Behandlungen im Erwachsenenalter ständig zu. Dies mag hauptsächlich auf ein gestiegenes ästhetisches Bewusstsein zurückzuführen sein, das durch die Medien propagiert wird. Zähne besitzen heute nicht nur funktionelle Aufgaben (Kaufunktion), sondern sind ein erstes „Aushängeschild“ bei sozialen Kontakten: Ein attraktives Lachen macht sympathisch. Reine Zahnbewegungen sind prinzipiell in jedem Alter möglich, d.h. die Reaktions-bereitschaft des Zahnhalteapparates auf kieferorthopädische Kräfte ist im wachsenden, jugendlichen Organismus sehr gut, beim Erwachsenen gut. Es lassen sich sowohl Fehlstände einzelner Zähne, als auch komplexe Bewegungen mehrerer bzw. aller Zähne durchführen. Voraussetzung für die kieferorthopädische Korrektur ist jedoch ein entzündungsfreier Zahnhalteapparat, der bei Erwachsenen manchmal eine vorgeschaltete Parodontal-Therapie (Zahnfleischbehandlung) voraussetzt.

Zahnwanderungen durch Zahnbetterkrankungen (Parodontitis):

Häufig kommt es bei Erwachsenen zu chronischen Entzündungen des Zahnhalteapparates (Parodontitis). Diese äußern sich nicht nur in Zahnfleischbluten und Zahnfleischtaschen sondern auch im fortgeschrittenen Stadium durch irreversiblen Knochenverlust. In diesen Zahnfleischtaschen bildet sich entzündliches Gewebe, das auf die betroffenen Zähne Druck ausübt. Patienten beobachten Zahnwanderungen, die insbesondere im Frontzahnbereich durch unschöne Lückenbildung und Auffächerung auffallen und zu Sprachstörungen führen können. Nach erfolgreicher Parodontaltherapie (Zahnfleischbehandlung) beim Zahnarzt können auch diese Zähne, die bereits einen Teil des umgebenden Knochens verloren haben, wieder in ihre alte Position zurückbewegt werden.

Kieferorthopädisch-Kieferchirurgische Kombinationsbehandlung:

Aufgrund des abgeschlossenen Wachstums im Erwachsenenalter kann die Kieferlage (Relation des Unterkiefer zum Oberkiefer) nicht mehr verändert werden. In einem gewissen Bereich kann man leichte Kieferfehllagen durch reine Zahnbewegung kompensieren (dentale Kompensation der skelettalen Disharmonie). Ist jedoch das Ausmaß der Kieferfehllage zu groß, kann die Behandlung dieser Patienten nur in Kombination mit einem chirurgischen Eingriff durchgeführt werden.

Nach Ausformung der Zahnbögen (meist feste Zahnspange) werden diese vom Mund- Kiefer- Gesichtschirurgen in ihrer richtigen Position operativ eingestellt. Nach einer postoperativen kieferorthpädischen Feineinstellung ist die Behandlung dann abgeschlossen.

Kieferorthopädie vor prothetischen Maßnahmen:

In diesem speziellen Aufgabengebiet sind Kieferorthopäden im Auftrag des behandelnden Zahnarztes gefordert, die Position von Zähnen vor der Anfertigung von Zahnersatz zu verbessern. Im Folgenden einige Beispiele für präprothetische Kieferorthopädie: In Lücken gekippte Zähne können kieferorthopädisch aufgerichtet werden, damit eine Überkronung oder Versorgung mit einer Brücke möglich wird. Zudem werden sie beim Kauen achsengerechter belastet. Sollen bei einem ausgeprägten tiefen Biss die Oberkiefer-Schneidezähne überkront werden, so gelingt dies nur perfekt, wenn präprothetisch die Frontzähne kieferorthopädisch in den Knochen hineinbewegt werden. So gewinnt der Zahnarzt bzw. Zahntechniker genügend Platz für die Gestaltung des geplanten Zahnersatzes. Tief abgebrochene Zähne können aus ihrem Knochenfach herausbewegt werden. Danach ist die Versorgung mit einer Krone möglich.

Behandlung mit Invisalign (durchsichtige, dünne Schienen):

Bei diesem Verfahren werden aufgrund des Anfangsbefundes und des erwünschten virtuellen Endbefundes computergestützt zahlreiche Modelle erstellt. Auf diesen Modellen werden eine Reihe transparenter Schienen gefertigt, die sogenannten „Aligner“. Sie müssen zwar fast 24 Stunden täglich getragen werden, besitzen jedoch den Vorteil, dass sie ästhetisch kaum beeinträchtigen. Nach 2-3 Wochen Tragezeit erhält dann der Patient die Folge-Schiene, bis das gewünschte Endergebnis erreicht ist. Mit Invisalign lassen sich moderate Zahnfehlstellungen bei erwachsenen Patienten korrigieren.